Vorwort
Die folgenden Beobachtungen basieren auf Notizen, die ich während unseres letzten Urlaubs im Sommer 2014 in Russland gemacht habe. Seitdem war ich nicht wieder in Russland. In der Zwischenzeit ist jedoch der Rubelkurs ums zweifache gefallen, in Russland herrscht Wirtschaftskrise und Vieles hat sich vielleicht geändert. Vielleicht aber auch nicht. Wie auch immer, ich hoffe ihr habt soviel Spaß beim Lesen, wie ich es beim Schreiben und Erinnern an diesen Urlaub hatte, ein Urlaub, wie man ihn wohl "nur in Russland" erleben kann.
Der Anfang
Am 22. August 2014 überschritt ich die Grenzen Russlands, und unsere Reise begann, das heißt, es vollzog sich ein Ereignis, das aller menschlichen Vernunft und Natur zuwiderlief. Das wusste ich allerdings erst hinterher, denn alles begann ganz harmlos in Nischni Nowgorod.
Marschroutka-Index
Nischni Nowgorod (NN) gehört zu den Städten, die man als Tourist in Russland unbedingt gesehen haben sollte. Die anderen Städte sind St. Petersburg und Moskau (und zwar in dieser Reihenfolge). Die anderen Städte, die wir auf dieser Reise besuchten (Tambov und Sotchi) gehören nicht dazu. Das sieht man bereits am sogenannten Maschroutka-Index, an dem man den Entwicklungsstand einer Stadt oder Region in Russland sehr gut ablesen kann. Marschroutkas sind die kleinen privaten Busse, die den öffentlichen Verkehr in Russland prägen. Eine Fahrt in einer Marschroutka kostet unabhängig von der Strecke der Fahrt immer das Gleiche, ist aber von Region zu Region unterschiedlich. In Moskau kostet eine Fahrt 40 Rubel, in St. Petersburg 32 Rubel, in NN 20 Rubel, in Sotchi 17 Rubel und in Tambov 11 Rubel (Preise von 2014). Für alle Touristen Russlands und die, die es mal werden wollen, lässt sich daraus folgende Regel ableiten:
Sollte der Preis einer Marschroutkafahrt weniger als 50% des Preises in Moskau betragen, dann sollte man die Stadt oder Region meiden.
Aber auch das wussten wir erst hinterher.
Nischni
Nischni (wie Nischni Nowgorod liebevoll von den Einheimischen genannt wird) ist nach dem Marschroutka-Index eine gut entwickelte russische Stadt. Es gibt z.B. seit neuestem (d.h. seit den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi) Ticketautomaten in der U-Bahn, allerdings nicht an jeder Station. An den anderen Stationen zahlt man nach wie vor am Schalter. Nichts was einen erfahrenen Touristen wie mich überrascht. Was schon eher irritieren kann, ist, dass wenn man in einem Modegeschäft etwas für die Liebste kauft und man 300 Rubel Wechselgeld erwartet, der Kassierer erst einmal über die Straße zu einem anderen Geschäft laufen muss, um das Wechselgeld zu holen. Aber wir haben ja Zeit, ich bin im Urlaub (und anscheinend auch der einzige Kunde seit langem). Jedoch muss ich mich als Tourist noch registrieren lassen, die erste größere Hürde auf unserer Reise: Das Registrierungsformular bekommen wir auf der Post, es ist nach alter sowjetischer Tradition zweiseitig eng bedruckt, die Felder zum Ausfüllen sind so klein, dass man selbst mit Schriftgröße 3 niemals die geforderte Information unterbringen kann. Das ganze muss man zudem drei Mal ausfüllen. Es ist natürlich nicht erlaubt, das Formular einfach einmal auszufüllen und dreimal zu kopieren. Durchstreichungen und Korrekturen sind ebenso nicht erlaubt. So kann man schon einmal eine Stunde am Postamt verbringen, nur um ein Formular auszufüllen. Dazu muss ich meinen Pass kopieren und zwar alle 20 Seiten. Meine Frau, die für mich das Formular ausfüllt wird das ganze schnell zu bunt. Nach einigen Flüchen und etwas lauterer Diskussion mit der Beamtin ist es auf einmal doch erlaubt, das verdammte Formular einfach dreimal zu kopieren. Aber wie die Beamtin klar macht, natürlich nur auf Kulanz bzw. aus Mitleid. Der Beamte ist König in Russland (solange man kein Schmiergeld zahlt)!
Im russischen Dorf - symbolisch
Ein Dorfbewohner |
Unsere nächste Station war die Datscha meines Schwiegervaters im Dorf 1,5 h Stunden außerhalb von NN an einem Teich gelegen, wie Hobbiton im Auenwald. Um diese Jahreszeit gab es auch schon keine Stechmücken mehr, so dass wir uns sehr auf die Ruhe dort gefreut haben. Die gab es auch, bis uns eben jener Schwiegervater (vom Charakter Louis de Funes nicht unähnlich) besucht hat. Der Besuch musste natürlich gefeiert werden mit viel Essen und mit "sto gramm" (100 gramm = 0,1 Liter) Wodka. Zu Besuch kamen auch Nachbarn aus dem Dorf, in Erinnerung geblieben ist mir der "Zauberer aus dem Wald", ein freundlicher kleiner Herr mit krausem Bart und schlauen Augen. Er brachte nicht nur sehr guten gebratenen Fisch mit (ich kann normalerweise keinen Fisch essen, aber der war wirklich gut), sondern brachte mir auch eine wichtigen Überlebenstrick für Russland bei. Auf die Frage des Schwiegervaters, wieviel Wodka er möchte (und als Antwort wird eigentlich nur ein volles Glas akzeptiert), sprach der Zauberer: "Tolka simwolitscheski" ("Nur symbolisch"). Und das Wunder passierte: Er bekam nur einen winzigen Schluck Wodka eingeschenkt, und trank sozusagen symbolisch mit uns. Das Zauberwort ist also nicht "njet", sondern "simwolitscheski".
Für mich war es zu diesem Zeitpunkt aber bereits zu spät für derartige Zaubertricks. Stattdessen wurde ich von meinem auch nicht mehr nüchternen Schwiegervater zum Schießen mit der Schrotflinte auf Blechdosen animiert. Also gut, was kann schon schiefgehen, wenn man nach mehreren Wodkas im Garten rumballert. Mehr als danebenschießen kann man nicht, ich traf sogar, allerdings nicht nur die Blechdose (womit ich meinen Schwiegervater beeindrucken konnte), sondern durch Querschläger auch die Regentonne (die dann auch prompt leer lief).
Nach einem so normalen Abend war das Aufstehen am nächsten Morgen etwas schwer, aber da mich mein Schwiegervater so liebt, warf er mir einfach die Autoschlüssel zu seinem teuren 4x4 SUV hin, und ließ mich damit ins Nachbardorf fahren. Seit der Fahrprüfung habe ich nicht mehr so geschwitzt am Steuer, denn mit Restalkohol im teuren Auto des Schwiegervaters über die schlimmsten Straßen (schlammige Feldwege mit halben Meter tiefen Spurrillen) seit Ende des römischen Reiches zu steuern kann nervös machen. Kommentar meines Schwiegervaters: "Eta ne avtoban!" (Das ist keine Autobahn).
Damit es nicht zu bequem wird, hat uns mein Schwiegervater auch die zweite Nacht verkürzt und uns am nächsten Morgen mit seinem neuen Minitraktor geweckt, den ich natürlich auch probefahren musste. Zudem war noch eine Nachbarsjunge zu Besuch der unbedingt auch Schießen wollte. Der vielleicht 12jährige Junge trifft besser als wir und fährt dann auf seinem Motorrad wieder heim.
Am Abend heizt uns der Schwiegervater auch noch einmal die Banja vor, Temperatur 145 Grad. Meine Ausrede, dass bei dieser Temperatur die Saunaweltmeisterschaften in Finnland durchgeführt werden, wird gerade so akzeptiert. Bei 130 Grad gehe ich in die Banja. Symbolisch.
Zugfahren in Russland
Essen ist auf Bahnfahrten inzwischen inklusive - aber das interessiert niemanden |
Als nächstes auf dem Programm steht eine Reise zur Schwiegermutter nach Tambow. Natürlich fahren wir wie alle Russen die 500 km dahin in 12 h mit dem Nachtzug. Allerdings geht das nicht ohne Vorbereitung.
Folgende Dinge sollte man als westlicher Gast bei einer Nachtzugfahrt auf jeden Fall dabeihaben: Oropax, Zahnputzkaugummi (nicht in Russland erhältlich), Augenmaske (da das Licht im Schlafabteil nicht abgeschalten wird), Badelatschen (Tapatschki), Taschentücher (um nervtötende klappernde Lüftungen zu fixieren).
Und folgende Dinge nehmen die Russen mit: Ein gebratenes Hähnchen, ein Kilo gekochte Kartoffeln, gekochte Eier, Messer, Servietten, ein Kilo Äpfel, ein Laib Brot, eine ganze Salami, ein Pfund Bauchspeck, zwei Packungen Süßigkeiten und dann noch eventuell Trauben, Birnen, etc. . Im Kommunismus gab es keine Verpflegung im Zug und dieser Glaube hat sich bei den Russen bis heute gehalten, obwohl man im russischen Zug inzwischen fast alles kaufen kann. Das Ergebnis ist dann, dass die Russen zwar alles mitnehmen, die Hälfte der Sachen dann aber auf der Fahrt weggeschmissen oder an die Schaffnerin geschenkt wird, die auch aussieht, als ob sie viele solcher Geschenke bekommt. In den meisten Klassen ist das Essen sogar im Ticketpreis inbegriffen. Unsere reichen Abteilungsnachbarn aus Moskau bei unserer späteren Fahrt nach Sotschi hatten allerdings trotzdem Hähnchen dabei.
Tambow
Schwarzböden bei Tambow |
Tambow liegt in der sogenannten Schwarzbodenregion und das ist wörtlich zu nehmen. Der Lebensgefährte der Schwiegermutter holt uns vom Bahnhof in Mitschurinsk ab (es gibt keine direkte Zugverbindung von NN nach Tambow) und links und rechts der niegelnagelneuen Autobahn nach Tambow sieht man tiefschwarze Hügel von Schwarzerde, die beim Bau der Autobahn entstanden. Es sieht aus, als hätte man eine Autobahn durch ein riesiges Gebiet mit Blumenerde gebaut. "Fast ein Verbrechen", denke ich, bin aber trotzdem froh, mal auf einer Straße ohne Schlaglöcher unterwegs zu sein.
Als wir bei der Schwiegermutter ankommen, gibt es eine kleine Überraschung. Sie hat extra für unseren Besuch das Treppenhaus neu (blau und orange) gestrichen. "Das ist ja sehr nett, aber das Treppenhaus gehört ihr doch gar nicht", schaue ich meine Frau fragend an. Sie zuckt nur mit den Schultern, und deutet an, dass man sich um solche Details in Russland nicht so kümmert. Das Treppenhaus stinkt jedenfalls zur Feier unseres Besuches zwei Tage nach Farbe.
Zusätzlich zu meiner Schwiegermutter besuchen wir auch eine Cousine meiner Frau in Tambow. Dort erfahren wir, das ihr Mann bei der russischen Armee und daher gerade in der Ukraine ist. Um das zu feiern trinken wir alle auf "Krim nasch" ("Unsere Krim"). Ich habe kein Problem damit, schließlich gehörte die Krim 1918 und 1942 auch schon mal zu Deutschland.
Am Abend kommen noch ein paar Tanten und ein Cousin zu Besuch. Meine Schwiegermutter bietet ihnen ihren selbstgebrannten Schnaps an, der so ca. 50% Alkohol haben dürfte. Während die eine Tante probiert und ihr sofort übel wird, trinkt die andere ihn ohne mit der Wimper zu zucken und wird dafür von ihrem Sohn sehr bewundert.
Am nächsten Tag besuchen wir noch den Garten meiner Schwiegermutter, der etwas außerhalb von Tambow liegt, aufgrund des Schwarzbodens aber geradezu ein Wunder ist. Es wächst wirklich alles dort, selbst Wein bauen sie an. Allerdings erkennt man auch diesen Garten sofort als russisch. Die Russen haben nämlich die Angewohnheit in jedem Garten alte Autoreifen liegen zu haben, das gehört seltsamerweise dazu. Meist werden sie als Blumentopf verwendet, manchmal auch als Beetbegrenzung oder in der großen Traktorvariante auch als Swimmingpool. Warum oder wieso die Russen Autoreifen in ihrem Garten mögen ist mir unklar, warum sie die Autoreifen dazu manchmal pink oder türkis bemalen noch viel weniger.
Weiter gehts zum Dorf Nesnanowka (wörtlich "Ichweissnichtdorf") um die Oma zu besuchen. Das Dorf macht seinem Namen alle Ehre und hat noch schlechtere Straßen als der Rest Russlands. Dafür gibt es seit neuestem Wasseranschluß. Allerdings haben die meisten Häuser gar keine Wasserleitungen die man anschließen könnte. Die Oma stört das alles überhaupt nicht und sie empfängt uns mit Unmengen Blini, die man offenbar auch ohne fließendes Wasser zubereiten kann. Im Garten dürfen wir dann auch noch die traditionellen Antonowka Äpfel vom Baum essen.
Nach so viel Verwandtschaftsbesuchen ist es Zeit weiterzureisen. Am nächsten Tag fahren wir wieder an Apfelplantagen vorbei auf der Autobahn nach Mitschurinsk, als die Schwiegermutter plötzlich unbedingt anhalten möchte. So fahren wir auf den Standstreifen und die Schwiegermutter steigt schnell aus um Äpfel von der Plantage zu klauen. Diese seinen (obwohl sie ja direkt an der Autobahn wachsen) nämlich besser, als die Äpfel, die wir nur einige Kilometer früher bei einem fliegenden Händler (Äpfel, Birnen, Fisch, Honig, Sonnenblumenöl) an der Autobahn gekauft haben. Dummerweise wird sie natürlich vom Bauern erwischt, aber auf ihre Erklärung "poprobowat" (nur zum probieren) sagt er zum Glück nur "ladno" (Na gut). Probieren darf man in Russland offenbar immer.
In Mitschurinsk angekommen verfahren wir uns zunächst, da der kleine Ort tatsächlich zwei Bahnhöfe hat und wir natürlich nicht vom selben losfahren, wie wir angekommen sind. Der andere Bahnhof wird von der Wartenden dort nur als "idiotskij waksal" ("Idiotischer Bahnhof") bezeichnet. Kein Wunder, der Bahnhof ist eine kleine Staubwüste und das Warten dort wird von extremem Baustellenlärm versüßt. Das Bahnhofsgebäude hat zum Ausgleich auch gar keinen Eingang. Zum Glück ist es schönes Wetter.
Zugfahrt über die Ukraine nach Sotschi
Mobiler Grenzkonflikt mit der Ukraine |
Für die 18-stündige Zugfahrt von Mitschurinsk nach Sotschi haben wir uns etwas Luxus gegönnt und fahren in der Klasse "Coupe", statt wie sonst immer "Platzkart". Der Vorteil ist, dass die Betten im Nachtzug länger sind als 170 cm und dass Licht nachts ausgeschalten wird. Leider sind die Abteile so dicht, dass es keine Luftzirkulation gibt. Zum Glück haben wir kein Abteil im zweiten Stock des zweistöckigen Zuges, der seit 2014 Moskau und Sotschi verbindet, denn das zweite Stockwerk ist so niedrig, dass sich dort nur Hobbits wohlfühlen können. Trotzdem schlafe ich relativ gut, so dass ich erst am nächsten Morgen überrascht die SMS auf meinem Smartphone lese, die mich "Herzlich Willkommen in der Ukraine" heißt. Eine kurze Triangulation mit Google Maps überzeugt mich aber, dass wir noch auf der Strecke nach Sotschi sind und nicht wie so mancher russischer Soldat in die Ukraine abgedriftet sind. Aber offenbar geht die Zugstrecke so nahe an der ukrainischen Grenze vorbei, dass die Mobilfunkbetreiber schon nicht mehr wissen, ob man noch in Russland oder schon in Novorussia ist. Etwas später fahren wir mit dem Zug am schwarzen Meer entlang und geniessen die wunderschöne Aussicht aufs Meer. Die Zugstrecke nach Sotschi wurde nämlich in weiser Voraussicht im Abstand von fünf Metern zum Strand gebaut, was erfolgreich den Bau von Hotels für den Massentourismus nahe am Meer verhindert, gleichzeitig aber leider auch die Ruhe am Strand.
Sotschi
Frühstück im Nicht-5-Sterne-Hotel |
Wie bereits gewohnt werden wir in Sotschi vom Geruch neuer Farbe begrüßt. Diesmal ist es der Bahnhof von Sotschi der (vielleicht extra für uns?) neu gestrichen wird. Warum bereits ein halbes Jahr nach den Olympischen Spielen der Bahnhof schon wieder einen neuen Anstrich braucht ist mir unklar, aber in Russland malt man offenbar gerne. Vom Schlafmangel im Nachtzug benommen machen wir auch den Fehler und akzeptieren das Angebot eines der aufdringlichen inoffiziellen Taxifahrer am Bahnhof uns für 1000 Rubel zum Hotel zu fahren. Sein Taxi verstopft bzw. parkt wie alle inoffiziellen Taxis in der Krankenhauseinfahrt des Krankenhauses neben dem Bahnhof. Dafür geniessen wir die Fahrt in einer Mercedes E-Klasse mit Klimaanlage. Das uns auf der Autobahnauffahrt plötzlich der Motor ausgeht, erklärt der Fahrer elegant damit, dass die E-Klasse mit der schlechten Benzinqualität hier in Sotschi nicht zurecht kommt. Ich bin beruhigt, ich befürchtete nämlich schon, dass wir überfallen werden sollten. Das war aber gar nicht notwendig. Als wir im Hotel ankommen stellt sich nämlich heraus, dass der offizielle Preis für ein Taxi vom Bahnhof eigentlich maximal 250 Rubel gewesen wären.
Das Hotel hat uns die Schwiegermutter ausgesucht, deswegen ist es günstig und liegt direkt im Ghetto von Sotschi. Allerdings ist, wie wir bald feststellen, ganz Sotschi ein Ghetto, insofern ist das kein Grund zur Besorgnis. Eher Grund zur Besorgnis ist, dass das Hotel zur günstigen Kategorie gehört. Das ist ein typischer Anfängerfehler westlicher Touristen.
Als Tourist darf man in Russland nur Luxusklasse buchen, ansonsten wird es immer abenteuerlich oder einfach nur furchtbar.
Als wir ankommen und die Dame an der Rezeption mitbekommt, dass ich aus Westeuropa komme, bekommen wir ein besseres Zimmer als das, was wir gebucht haben. Es ist etwas größer und hat durch die Hochhäuser hindurch tatsächlich Blick aufs Meer. Die Matratzen sind dafür schlechter als die der russischen Bahn, es gibt keine Leselampen am Bett, der Abfluss in der Duschkabine ist verstopft, die Beschriftung für heißes und kaltes Wasser vertauscht, der Teppich schmutzig und die Tapeten sind an manchen Stellen zerrissen (von Kindern der vorherigen Gäste, wie sich die Rezeptionistin entschuldigt). Als ich den Teebeutel, der in der Klimaanlage klemmt, entferne, stelle ich fest, dass er für die Funktion absolut notwendig ist, da sie ansonsten nicht die bläst. Dafür gibt es Free WiFi, wenn man den Router, der auf einem Bügelbrett im Gang vor dem Zimmer steht, selbst neu startet. Da könnten sich viele deutsche Hotels mal ein Beispiel dran nehmen.
Free WiFi! |
Die Bettwäsche ist leider ebenfalls nicht besonders sauber, weswegen meine Frau sich an der Rezeption beschwert. Kommentar der Rezeptionistin: "Wir haben die Bettwäsche jetzt gewechselt, aber eigentlich sind wir kein 5-Sterne Hotel!". Offenbar wird in Russland nur in 5-Sterne Hotels die Bettwäsche ab und zu gewechselt. Zum Aufwecken am nächsten Tag, hat das Hotel mitten in der Stadt einen krähenden Hahn, schreiende Kinder der Hotelbesitzerin und eine obligatorische Baustelle mit Kreissäge organisiert. Offenbar wollte das Hotel sicher stellen, dass wir trotz Oropax aufwachen um das tolle Frühstück (Haferbrei, zwei Scheiben trockenem Brot, einer Scheibe Wurst und einer Scheibe Käse und billigem Beuteltee) nicht zu verpassen.
Auf der Website zum Hotel stand auch, dass man zu Fuß zum Strand gehen kann, was im Prinzip auch stimmt. Allerdings läuft man dazu 20 Minuten einen extrem steilen Berg durchs Ghetto hinunter über Straßen, die seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr geteert wurden und muss über improvisierte, verrostete Fußgängerbrücken mit ungleichen Stufenhöhen klettern um dann an einem winzigen Strand anzukommen. Als wir etwas außer Atem wieder im Hotel ankommen und fragen, ob das der einzige Weg zum Strand ist, erzählt uns die Rezeptionistin (weil sie wohl Mitleid mit uns hatte), dass es da auch noch einen Bus/Marschroutka gibt. Aber eine Karte von Sotschi gibt sie uns nicht. Die sollen wir gefälligst selber kaufen. Sie sind ja kein 5-Sterne Hotel.
Dank der genialen 2GIS App (ohne die man als Tourist in Russland verloren geht) finden wir am nächsten Tag einen Bus, der uns zu einem anderen Strand bringen soll. Die Bushaltestelle ist allerdings nicht ganz in Strandnähe, so dass wir trotzdem noch eine gewisse Strecke zu Fuß meistern müssen. Dank Smartphone kein Problem, wir folgen einfach den Straßen, so wie sie auf 2GIS eingezeichet sind (Google Maps, Yandex und Openstreetmap sind in Sotschi völlig unbrauchbar, da die Karten total veraltet sind). Wir finden die Straße zum Strand, leider ist sie aber nicht mehr durchgängig, selbst für Fußgänger. Warum? Nun, die Straße endet unvorhergesehen an einem privaten Garten, der sich bei näherem hinsehen als Leopardengehege (mit Leopard) mitten in der Stadt herausstellt. Ach so, dass hätte man sich natürlich denken können, wir sind ja in Russland.
Leopard statt Straße - Wieso hat mich Google Maps nicht gewarnt? |
Auf einigen Umwegen schaffen wir es dann doch noch zu Strand zu kommen, und schaffen es uns unauffällig zwischen die Familien und weißrussichen Banditen mit ihren Geliebten zu mischen. Das schwarze Meer verwöhnt uns mit 28 Grad Luft und 28 Grad Wassertemperatur und so entspannt beschliessen wir, ab sofort nur noch mit dem Taxi in Sotschi zu fahren.
Das war eine gute Entscheidung. Nach kurzem Anruf wird man von den Taxis meist innerhalb von drei Minuten überall abgeholt. Allerdings muss man sich an ein paar Dinge gewöhnen. Erstens: Alle Taxis haben auf den Rücksitzen die Gurte entfernt, nicht dass sich die Gäste aus versehen anschnallen. Taxifahrer haben nie Rückgeld oder geben es vor. Wenn es ihnen einfällt, dass sie doch Rückgeld haben, dann sind es z.B. 60 Rubel in Münzen. Manche Taxifahrer bekreuzigen sich bei jeder Kirche an der sie vorbeifahren (vielleicht als Ersatz für die fehlenden Gurte?). Als Musik wird meistens 90er Jahre Techno gespielt und wenn es eine Klimaanlage gibt, dann wird das Auto auf gefühlt -10 Grad abgekühlt. Proteste helfen wenig. Als meine Frau sich über die Lautstärke der Musik beschwert, bekommt sie nur zu hören: "Das ist doch nicht laut" und die Lautstärke bleibt unverändert. Dafür kommt man immer ans Ziel, z.B. den Bahnhof.
Diesen steuern wir am nächsten Tag an, um von dort aus zu den "olympischen Objekten" zu fahren, wie es hier so schön heißt. Denn ich Schlauberger habe mir natürlich trotz Warnungen meiner Frau einen argen Sonnenbrand geholt und will der Haut einen Tag Pause gönnen. Am Bahnhof stehen 10 Ticketautomaten, aber der erste nimmt kein Geld an, da waren es nur noch neun. Neun Ticketautomaten am Bahnhof, der nächste hat keinen Strom, da waren es nur noch acht. Acht Ticketautomaten .... Am Ende hilft nur Schlange stehen am Ticketschalter, alle zehn Ticketautomaten sind offenbar ein halbes Jahr nach den Olympischen Spielen schon wieder kaputt gegangen.
Die Zugfahrt zu den olympischen Objekten kostet nur 100 Rubel, dauert aber überraschend lang. Die Stadien sind nämlich ca. 30 km südostlich von Sotschi in Adler (wo sich auch der Flughafen von Sotschi befindet) auf einer künstlichen kreisrunden Ebene direkt am Meer. Ein Besuch ist im Sommer wirklich nicht empfehlenswert. Ohne Bäume, Wiesen, Wind und irgendeiner Art von Schatten laufen wir zwischen den zugegebenermaßen beeindruckenden Stadien herum, bis wir vor Hitze platt doch das Angebot annehmen uns für 100 Rubel mit einem Golfwagen herumfahren zu lassen. Leider ist der sogenannte olympische Park im Sommer nämlich nichts anderes als ein riesiger olympischer Parkplatz.
Der olympische Parkplatz |
Kurioses Highlight der Besichtigung war dann auch, dass im Hauptstadion gerade der sibirische Gesundheitskongress stattfand. Offenbar wissen die Russen (wie so viele andere Länder auch) nicht so recht, wie sie die riesigen Anlagen nach den Olympischen Spielen auslasten sollen, so dass vermutlich jeder staatliche Kongress in Zukunft auf Befehl des Präsidenten in Adler stattfinden muss.
Noch eine Stunde mit dem Zug weiter östlich von Adler in den Bergen liegt aber endlich mal ein echtes Highlight: Krasnaja Poljana . Die Mischung aus Karlsbad und Schweizer Wintersportort ist auch im Sommer einen Tagesausflug wert. Es liegt in den wunderschönen grünen kaukasischen Bergen und verdient den Namen russische Schweiz zurecht. Während Sotschi selbst kaum von den Olympischen Spielen profitiert hat, ist in Krasnaja Poljana einfach alles top. Die vielen 5-Sterne Hotels und anderen schönen Gebäude, die Promenade am wilden Bergfluß, die Gondelbahn auf den Gipfel, die atemberaubende Aussicht über die kaukasischen Berge. Eigentlich wollen wir dort gar nicht weg und gönnen uns ein Essen in einem der (im Sommer) überraschend günstigen 5-Sterne Hotels am Platz. Auch hier gilt offenbar wieder die Regel in Russland: Entweder es ist Abfall oder es ist Luxus und Krasnaja Poljana gehört zu letzterem. Falls wir mal Zeit und Geld haben in Russland Ski zu fahren, dann wird es wohl dort sein, versprechen wir uns. Mit dem letzten Zug fahren wir wieder zurück nach Sotschi in unser Hotel.
Krasnaja Poljana |
Dort ist inzwischen der Strom ausgefallen, ich lasse mich nicht beunruhigen, finde den Sicherungskasten und schalte den Strom auf unserem Stockwerk selbst wieder ein. Am nächsten Morgen gibt es während des Frühstücks ein wildes Wortgefecht zwischen der Rezeptionistin und der Hotelbesitzerin. Am Abend erfahren wir, dass die Rezeptionistin gefeuert wurde. Warum bleibt unklar, vielleicht weil wir es eben kein 5-Sterne-Hotel ist, welches sich eine Rezeptionistin leisten kann. Dafür bekommen wir jetzt das Frühstück von der Hotelbesitzerin persönlich serviert. Wir mischen uns nicht ein und versuchen die restlichen Tage, die leider etwas verregnet waren, mit Sightseeing, Shopping und Essen gehen zu verbringen.
Leider ist es eine Angewohnheit in Sotschi alle Promenaden und Fußgängerzonen mit 80er Pop oder 90er Techno zu beschallen. Wenn es keine Musik gibt, dann gibt es Baulärm. Oder beides, wie in dem romantischen Restaurant am Hafen, welches die Baustelle daneben mit unromatischer Musik zu übertönen versucht. Dafür finden wir einige interessante Dinge zum Kaufen, z.B. Zahnpasta mit Goldgeschmack oder Shampoo mit Knoblauchgeruch. Will man etwas Teureres kaufen (> 100 Euro), dann haben auch die meisten Läden, wie die Taxifahrer, kein Wechselgeld. 1000 oder gar 5000 Rubel-Scheine sind grundsätzlich verdächtig und werden oft abgelehnt. Ein Profi-Tipp für Touristen in Russland ist es daher, große Scheine grundsätzlich nur in großen Supermärkten oder teuren Restaurants auszugeben bzw. wechseln zu lassen. Auf diese Art und Weise schaffen wir es dann doch noch die Urlaubskasse auszugeben.
Das Ende
Am letzten Tag warten wir aufs Taxi zum Flughafen. Meine Frau hatte extra einen guten Preis dafür mit einem der netteren Taxifahrer am Vortag ausgehandelt. Natürlich kommt er nicht. Wir rufen also die Taxizentrale und innerhalb von drei Minuten kommt ausgerechnet der unfreundlichste Taxifahrer, mit dem wir bisher gefahren sind. Als wir sagen, zum Flughafen, sehe ich kurz Dollarzeichen in seinen Augen aufblinken. Dann steigen wir ein, und ohne das ich die Tür schließen konnte fahren wir schon in wahnsinniger Geschwindigkeit mit Techno der 90er in seinem getunten VW Passat durch Sotschi. Eigentlich glaube ich schon nicht mehr daran, dass wir es noch rechtzeitig schaffen können, denn laut Google Maps brauchen wir mindestens 55 min, aber wir haben nur noch 45. Aber ich habe die Rechnung ohne unseren Taxifahrer gemacht. Mit wahnwitzigen Überholmanövern auf dem Seitenstreifen der Autobahn am Stau vorbei, mit 80 km/h über Parkplätze hinweg schafft er es in rekordverdächtigen 35 min von unserem Hotel bis zum Flughafen. Ein bisschen bleich steigen wir aus, ich gebe ihm mein ganzes letztes Geld, pfeife auf das Wechselgeld und wir rennen zum Check-In. Tatsächlich schaffen wir es noch zu unserem Flug und nach einer Zwischenlandung in Moskau überfliegen wir die Grenze Russlands am 10. September 2014 zurück nach Westeuropa.
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